Sie verlieren Ihre Haarfollikel nicht, weil sie absterben – ihre Stammzellen ruhen nur. Auch im Alter. Zumindest öfter als bekannt. Das war 2021 eine der Schlüsselentdeckungen von Harvard-Forschern in einer „Nature“-Studie. Darin hatte ein Team um Sekyu Choi in einer Mäuse-Studie den Einfluss von Stress auf die Haarfollikel und die Haarwachstumsphasen untersucht und dabei entdeckt: Durch eine Blockade des Stresshormons Cortisol erwachten scheinbar abgestorbene Haarfollikel-Stammzellen plötzlich wieder zum Leben – die Ruhephase der Haare, die im Alter oft verlängert ist, verkürzte sich, die Regeneration der Haarfollikel wurde angeregt und die Wachstumsphase der Haare verlängerte sich.

Entstresste Mäuse könnten sich womöglich bald über ein volles Fell im Alter freuen. Menschen auch? In der Forschung ist derzeit ein Umdenken angesagt: (Stress)Hormone sind nicht mehr die einzigen „Verdächtigen“. Auch die richtige Ernährung, Lipide, Vitamine und Sauerstoff können als Weckdienst für tief schlafende Haarstammzellen wirken.

Zucker: Bekannt ist, dass Diabetes und hohe Blutzuckerspiegel Haarausfall (z.B. Alopecia areata) begünstigen. Gründe sind z.a. eine durch hohe Blutzuckerspiegel und Gefäßschäden verschlechterte Versorgung der Haarfollikel mit Nährstoffen und Sauerstoff sowie ein erhöhtes Risiko für Bakterien- oder Hefepilz-Infektionen der Kopfhaut und Haarfollikel. Eine chinesische Studie der Universität Peking mit 1.028 18-45 jährigen Männern im Journal „Nutrients“ zeigte jüngst, dass Vieltrinker von zuckerhaltigen Getränken ein fast doppelt so hohes Risiko für androgenetischen Haarausfall gegenüber Männern, die weniger „süß“ trinken, haben. Achtung: Das gilt auch für süßstoffhaltige Getränke!

Lipide: Eine verblüffende Entdeckung machte kürzlich eine japanische Forschergruppe der Yokohama National University in einer Zellkultur-Versuchsreihe mit menschlichen dermalen Papillenzellen (Gewebe am Boden des Haarfollikels, das für das Haarwachstum entscheidend ist). Die Ergebnisse publizierten sie in „Nature“: Basierend auf Erkenntnissen, dass bei Patienten mit androgenetischem Haarausfall der Fettsäurestoffwechsel in der Kopfhaut gestört ist und dass Fettsäuren relevant für das Wachstum von Haaren sind, behandelten sie nur einen Teil der Zellen mit einer Lipidmischung (Myristin-, Palmitin-, Stearin-und Ölsäure). Ergebnis: Im fettreich behandelten Zellteil sprossen mehr und längere Haare als im unbehandelten Teil.

Eiweiß & Vitamine: Wer genügend Eisen und Vitamin D im Blut hat, hat deutlich seltener Haarausfall – zu diesem Schluss kam gerade ein portugiesischer Autoren-Team der Universität Porto im Fachjournal „Nutrition and Health“. Auch ein Mangel an Vitamin B12 oder Zink kann Haare in die Flucht treiben. Aber in erster Linie braucht ein voller Haarschopf Protein: Zu 90 Prozent besteht das Haar nämlich aus Eiweiß – und das ist unter anderem wichtig für die Bildung von Keratin.

Tipp: Blut auf Mängel untersuchen und auch ein Aminogramm (Messung der Aminosäuren) erstellen lassen, da Aminosäuren wie Cystein wichtig für das Haarwachstum sind. Mängel auffüllen – und sich im Idealfall über Nachwuchs auf dem Haupt freuen.


Gomes, N., Silva, N., & Teixeira, B. (2025). Assessing the relationship between dietary factors and hair health: A systematic review. Nutrition and Health. DOI – 10.1177/02601060251367206, https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/02601060251367206

Choi, S., Zhang, B., Ma, S. et al. Corticosterone inhibits GAS6 to govern hair follicle stem-cell quiescence. Nature 592, 428–432 (2021). https://doi.org/10.1038/s41586-021-03417-2

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Pan X, Vishnyakova KS, Chermnykh ES, Jasko MV, Zhuravlev AD, Verkhova SS, Chegodaev YS, Popov MA, Nikiforov NG, Yegorov YE. Effect of Free Long-Chain Fatty Acids on Anagen Induction: Metabolic or Inflammatory Aspect? Int J Mol Sci. 2025 Mar 13;26(6):2567. doi: 10.3390/ijms26062567. PMID: 40141208; PMCID: PMC11941852.

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Über die Autorin:


Marion Meiners ist ausgebildete Verlagskauffrau und Journalistin und arbeitete viele Jahre für Zeitschriften als Redakteurin für Gesundheit und Ernährung. Zusammen mit Labor-Professor Hans-Peter Seelig schrieb sie das Buch „Laborwerte klar und verständlich“.
Ihre Begeisterung für Medizinthemen entdeckte sie in frühen Berufsjahren, nachdem ihr eine Verwandte einen Pschyrembel schenkte. Seither heißt ihr digitales „Wohnzimmer“ PubMed und die Faszination für die Ursachen-Fahndung bei Krankheiten sowie die Effekte von Ernährung und Lebensstil auf die Gesundheit hält an.

Das sagt sie über ihre Tätigkeit:

„Alles hängt mit allem zusammen im Körper. Das ist leider in unserer „Schubladen“-Medizin noch nicht so ganz angekommen. Ein Nährstoffmangel kann etwa ebenso fatale Auswirkung auf alle Organsysteme haben wie z.B. ein kranker Zahn. Umgekehrt kann schon eine veränderte Zusammenstellung der Makro-oder Mikronährstoffe in der Ernährung gigantische therapeutische Effekte entfalten. Welche, und wie gut belegt diese sind – darüber möchte ich informieren.“


Das Bild zeigt ein Porträt der News-Autorin Marion Meiners.