Wir verwenden Cookies, um Ihre Erfahrung zu verbessern. Um die neuen Datenschutzrichtlinien zu erfüllen, müssen wir Sie um Ihre Zustimmung für Cookies fragen. Weitere Informationen
Jod und seine Rolle in der Evolution
Jod? Kennen die meisten nur aus dem Jodsalz. Das war’s dann auch. Es ist leider immer noch ein Spurenelement, das in der öffentlichen Wahrnehmung bestenfalls eine Statistenrolle spielt – irgendwo ganz hinten, zwischen Molybdän und Bor. In der Schulmedizin? Praktisch nicht existent. Es wird quasi nie gemessen, selten verordnet und fast nie ernst genommen. Und in der orthomolekularen Medizin? Ebenfalls leider immer noch ein echtes Stiefkind.
Und das, obwohl die Fakten längst eine andere Sprache sprechen: In den letzten Jahrzehnten ist klar geworden, dass Jod weit mehr kann als nur Schilddrüse. Die Evolution selbst hat vielen Organen einen Jod-Transporter eingebaut – den Natrium-Jodid-Symporter. Warum? Weil sie es brauchen. Besonders Brustdrüsen, Eierstöcke, Gehirn, Immunsystem und der Magen-Darm-Trakt sind auf Jod angewiesen. Es geht also längst nicht mehr nur um Kropf oder Schilddrüse – es geht um grundlegende Gesundheit.
Bei meinen Recherchen stieß ich auf einen Mann, der das alles schon lange verstanden hat: den italienischen Arzt und Wissenschaftler Dr. Sebastiano Venturi. Seit Jahren stehen wir in regem Austausch. Er hat sein ganzes wissenschaftliches Leben einem einzigen Thema gewidmet: Jod. Wenn jemand auf diesem Gebiet als lebendes Lexikon gelten darf, dann er.
In mehreren wissenschaftlichen Publikationen vertritt er die These, dass Jod eine zentrale Rolle in der Evolution des Lebens gespielt hat. Seiner Ansicht nach ist Jod nicht nur ein essenzielles Element für den Stoffwechsel, sondern ein biologischer Katalysator, der maßgeblich dazu beitrug, dass sich das Leben vom Meer auf das Land ausbreiten konnte.
Am Anfang war das Meer – salzig, mineralreich und voller Jod. Bereits einzellige Organismen wie Algen und Plankton verwendeten Jod als Schutzstoff. Venturi verweist auf Studien, die zeigen, dass marine Pflanzen und Mikroorganismen Jod aktiv aufnehmen und verwenden, um sich gegen UV-Strahlen, Bakterien und oxidativen Stress zu schützen. Das Spurenelement diente in den Anfängen des Lebens als eine direkte schützende und stabilisierende Funktion auf zellulärer Ebene.
Mit dem Übergang vom Wasser zum Land – einem der größten Evolutionssprünge – änderte sich vieles. Das Festland war überwiegend arm an bioverfügbarem Jod. Pflanzen, Tiere und letztlich auch der Mensch mussten lernen, mit dieser Knappheit umzugehen. Venturi sieht darin eine entscheidende Selektionskraft: Nur Organismen, die in der Lage waren, Jod zu speichern, zu recyceln oder seine Funktionen effizient zu nutzen, hatten eine Überlebenschance.
Hier kommt ein zentrales Organ ins Spiel: die Schilddrüse. Sie entwickelte sich evolutionär aus den Kiemenregionen früher Meeresbewohner. Beim Menschen entwickelt sich die Schilddrüse aus dem Vorderdarm im Bereich der Kiemenbogenanlage in der 3. – 4. Woche der Embryonalentwicklung. Sie wandert später nach unten in den Halsbereich.
Venturi vermutet, dass sie ursprünglich primär dazu diente, Jod zu speichern und gegen Mikroben zu wirken. Später entwickelte sie sich zu einem endokrinen Kontrollzentrum für den Stoffwechsel, das mithilfe von jodhaltigen Hormonen (T3 und T4) die präzise Steuerung von Wachstum, Energie und Nervensystem ermöglichte.
Besonders spannend an Venturis Theorie ist die These, dass Jod nicht nur auf die Schilddrüse beschränkt ist. Der menschliche Körper enthält Jod auch in vielen anderen Geweben – z. B. in der Brust, im Magen, in den Speicheldrüsen, in der Haut oder in der Prostata. Dort übernimmt es offenbar ähnliche Aufgaben wie einst im Ozean: antibakteriell, antiviral, antioxidativ. Auch hier ist die Fähigkeit, Jod zu nutzen und zu speichern, tief in den Zellstrukturen verankert. Evolutionär gesehen könnte das bedeuten, dass der Körper eine uralte Schutzstrategie beibehalten hat, die sich bereits vor Milliarden von Jahren bewährt hat.
Wenn Venturis Thesen stimmen – und vieles spricht dafür –, dann ist Jod nicht nur ein essenzielles Spurenelement, sondern ein evolutionäres Fundament.
Die Folgen eines chronischen Jodmangels reichen laut Venturi weit über Schilddrüsenerkrankungen hinaus – sie betreffen auch die Immunfunktion, die Fruchtbarkeit, die Intelligenzentwicklung und sogar die Anfälligkeit für chronische Krankheiten (insbesondere Brustkrebs, siehe auch meine News vom 3.9.2023).
In einer Zeit, in der viele Menschen unbewusst mit einem Mangel leben, bekommt diese Perspektive eine besondere Dringlichkeit. Es geht bei Jod eben nicht nur um die Schilddrüse. Es geht um die tiefe, evolutionäre Verbindung zwischen Menschen und Meer und um die Verantwortung, dieses Spurenelement im eigenen Körper wieder bewusster zu würdigen.
Quellen:
Venturi S, Donati FM, Venturi A, Venturi M, Grossi L, Guidi A. Role of iodine in evolution and carcinogenesis of thyroid, breast and stomach. Adv Clin Path. 2000 Jan;4(1):11-7. PMID: 10936894.
Venturi S, Venturi M. Iodine, thymus, and immunity. Nutrition. 2009 Sep;25(9):977-9. doi: 10.1016/j.nut.2009.06.002. PMID: 19647627.
Evolutionary significance of iodine“, S. Venturi, Current Chemical Biology, Sep 2011.
Über die Autorin:
"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.
Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.