Seit Jahren beschäftige ich mich eingehend mit Melatonin und schreibe ebenso gerne darüber. Denn ich bin der Meinung, dass Melatonin immer noch unterschätzt und oft ausschließlich mit Schlaf in Verbindung gebracht wird. In meinem Beitrag vom 5. April 2025 habe ich unter anderem erklärt, welche Bedeutung Melatonin als Antioxidans hat und dass sogar die Mitochondrien es selbst herstellen können.

Besonders spannend sind für mich die Arbeiten von Professor Dr. Russell J. Reiter, der mit seinen fast 90 Jahren wie kein anderer Forscher weltweit ein Lebenswerk über Melatonin geschaffen hat. Seine über Jahrzehnte angesammelte Expertise ist unvergleichlich. An seiner Seite liefert Doris Loh mit ihren Publikationen und Analysen einen unschätzbaren Beitrag, indem sie komplexe Zusammenhänge verständlich macht und die immense Bandbreite von Melatonin erforscht. Es bleibt zu hoffen, dass Professor Reiter noch viele Jahre seine außergewöhnliche Erfahrung einbringen wird.

In den vergangenen Jahren hat die Zellbiologie einen Begriff hervorgebracht, der unser Verständnis der inneren Architektur der Zelle von Grund auf verändert hat: Die biomolekulare Phasentrennung. Es handelt sich dabei um einen zellulären Mechanismus, der es Proteinen und der RNA erlaubt, ohne Membranen kleine Funktionsräume zu bilden – ähnlich wie Öltröpfchen, die sich in Wasser sammeln. Dieser faszinierende Prozess bestimmt weit mehr Zellfunktionen, als wir lange gedacht haben und rückt immer stärker in den Fokus moderner Forschung.

Phasentrennung beschreibt die spontane Bildung von flüssigen Tröpfchen aus bestimmten Molekülen. Diese sogenannten membranlosen Organellen können sich innerhalb von Sekunden bilden und wieder auflösen. Dadurch kann die Zelle biochemische Reaktionen flexibel steuern, Moleküle kurzfristig speichern oder Stressreaktionen regulieren.

Problematisch wird es, wenn diese Tröpfchen ihre flüssige Natur verlieren. Eine gestörte Phasentrennung kann dazu führen, dass Proteine verklumpen – ein Vorgang, der bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Frontotemporaler Demenz oder ALS eine entscheidende Rolle spielt. Die Fähigkeit der Zelle, Tröpfchen dynamisch zu regulieren, ist daher enorm wichtig für ihre Gesundheit.

Dank der Erkenntnisse vom Forscherteam Reiter/Loh wissen wir, dass es sich bei Melatonin um ein multifunktionales Schutzmolekül handelt, das auch in die Mechanismen der Phasentrennung eingreift. Melatonin unterstützt diese membranlosen Organellen, indem es sie flüssig und stabil hält. Dadurch verhindert es, dass sie verklumpen oder ihre Funktion verlieren. Dies ist ein zentraler Faktor für gesunde Zellabläufe.

Dies lässt sich gut an dem Beispiel der Stressgranula zeigen: Unter Stress entstehen in Zellen sogenannte Stressgranula, die wie Notfallablagen funktionieren. Zu viele oder zu langlebige Stressgranula können jedoch schaden.
Melatonin wirkt hier wie ein Schutzfaktor. Es verringert die übermäßige Entstehung solcher Granula und beschleunigt ihre Auflösung, sobald der Stress nachlässt.
So hilft es Zellen, schneller in einen gesunden Zustand zurückzukehren.

Phasentrennung ist ein zentrales Organisationsprinzip der Zelle. Melatonin stabilisiert die Phasentrennung, schützt vor Fehlentwicklungen und trägt entscheidend zur zellulären Gesundheit und Schutz vor Alterserkrankungen bei.

Die Forschung von Professor Reiter und seinem Team zeigt eindrucksvoll: Melatonin könnte eines der fundamentalsten Moleküle für Gesundheit, Alterung und Zellschutz sein. Je mehr wir darüber erfahren, desto klarer wird, wie tief es in biologische Kernprozesse eingebettet ist. Daher ist es wichtig, entweder die körpereigene Melatoninproduktion – auch in den Mitochondrien – zu unterstützen (durch ausreichende Mengen an Tryptophan, B-Vitaminen, Magnesium und SAME) und/oder gegebenenfalls Melatonin zu supplementieren.


Quelle:
Loh D, Reiter RJ. Light, Water, and Melatonin: The Synergistic Regulation of Phase Separation in Dementia. Int J Mol Sci. 2023 Mar 19;24(6):5835. doi: 10.3390/ijms24065835. PMID: 36982909; PMCID: PMC10054283.

Loh D, Reiter RJ. Melatonin: Regulation of Biomolecular Condensates in Neurodegenerative Disorders. Antioxidants (Basel). 2021 Sep 17;10(9):1483. doi: 10.3390/antiox10091483. PMID: 34573116; PMCID: PMC8465482.



Über die Autorin:


"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.

Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.


Das Bild zeigt ein Porträt der News-Autorin Kyra Kauffmann.