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Acetylcystein: Was der bekannte Schleimlöser für die Psyche tun kann
Gerade jetzt in der Erkältungssaison greifen viele zu bewährten Mitteln, um hartnäckigen Husten und zähen Schleim loszuwerden. Acetylcystein (NAC) gehört dabei zu den Klassikern: Es verflüssigt festsitzenden Schleim in den Atemwegen, sodass er sich leichter abhusten lässt und die Beschwerden schneller abklingen.
Doch NAC kann noch mehr. In der Notfallmedizin wird es auch bei einer Paracetamolvergiftung eingesetzt, weil es den Körper dabei unterstützt, schädliche Stoffwechselprodukte abzubauen und die Leber zu schützen. Seit einigen Jahren rückt dieser Wirkstoff auch in der Neurowissenschaft zunehmend in den Fokus als potenzielle Unterstützung bei verschiedenen psychischen Erkrankungen.
NAC ist die Vorstufe der Aminosäure Cystein. Im Körper wird es schnell in Glutathion, eines der wichtigsten körpereigenen Antioxidantien, umgewandelt. Diese antioxidative und entzündungsmodulierende Wirkung bildet vermutlich die Grundlage für viele der psychischen Effekte, die aktuell untersucht werden, denn chronische Entzündungen gelten als möglicher Faktor bei Depression und anderen psychischen Erkrankungen. NAC kann entzündliche Prozesse dämpfen und somit möglicherweise Symptome beeinflussen. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass NAC als Zusatztherapie depressive Symptome lindern kann, vorwiegend bei Menschen, die auf klassische Antidepressiva nur teilweise ansprechen.
Auch bei Zwangserkrankungen, wie Trichotillomanie (Haar-Ausreißen), Dermatillomanie (Skin Picking) und Onychophagie (Nägelkauen) zeigten NAC-Studien teilweise deutliche Verbesserungen. Ein zentraler Mechanismus hinter der Wirkung von N-Acetylcystein wird auf seine Fähigkeit zurückgeführt, das Glutamat-System im Gehirn zu regulieren. Glutamat ist der häufigste erregende Neurotransmitter unseres Nervensystems und an nahezu allen Prozessen beteiligt, die mit Lernen, Aufmerksamkeit und emotionaler Reaktionsfähigkeit zu tun haben. Damit das Gehirn ausgeglichen funktioniert, muss dieses System fein reguliert werden. Gerät es aus dem Gleichgewicht etwa wenn zu viel Glutamat im synaptischen Raum vorhanden ist – kann dies mit verschiedenen psychischen und neurologischen Herausforderungen in Verbindung stehen.
Hier setzt NAC an: Es unterstützt ein natürliches Transportersystem im Gehirn, den sogenannten Cystin-Glutamat-Austauscher. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass Glutamat kontrolliert zwischen Zellen ausgetauscht wird und trägt so zu einer Stabilisierung der Glutamataktivität bei. Indem NAC dieses System moduliert, kann es helfen, überaktive Signalwege zu beruhigen und ein gesünderes neurochemisches Gleichgewicht herzustellen. Genau diese Wirkung macht NAC in der Forschung zunehmend interessant, besonders in den Bereichen Emotionen, Impulskontrolle und mentale Gesundheit. NAC wird aktuell experimentell auch untersucht in Bezug auf verschiedene Suchterkrankungen. Die Ergebnisse zeigen: NAC kann das Verlangen (Craving) reduzieren, aber ist selbstverständlich kein Ersatz für Therapie.
Im Gegensatz zur Anwendung als Schleimlöser setzt die Wirkung auf die Psyche nicht sofort, sondern eher innerhalb von 2–6 Wochen ein, je nach Indikation und Dosierung (in Studien meist 1200–2400 mg/Tag).NAC gilt allgemein als gut verträglich. Mögliche Nebenwirkungen können leichte Kopfschmerzen und Magen-Darm-Beschwerden sein.
NAC kann mit einigen Medikamenten interagieren und sollte zudem bei bestimmten Erkrankungen, wie Asthma, nicht ohne Rücksprache eingenommen werden.
Acetylcystein ist weit mehr als ein Schleimlöser. Durch seine Wirkung auf Glutamat, Entzündungen und antioxidativen Stress zeigt es in der Forschung ein faszinierendes Potenzial bei verschiedenen psychischen Erkrankungen – insbesondere als zusätzliche, nicht als alleinige Therapie. NAC ist ein spannender Baustein in einem ganzheitlichen mental-gesundheitlichen Ansatz.
Quellen:
Eghdami S, Eissazade N, Heidari Mokarar M, Boroon M, Orsolini L, Shalbafan M. The safety and efficacy of N-acetylcysteine as an augmentation in the treatment of obsessive-compulsive disorder in adults: a systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials. Front Psychiatry. 2024 Sep 23;15:1421150. doi: 10.3389/fpsyt.2024.1421150. PMID: 39376972; PMCID: PMC11456833.
Sarris J, Ravindran A, Yatham LN, et al.: Clinician guidelines for the treatment of psychiatric disorders with nutraceuticals and phytoceuticals: The World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) and Canadian Network for Mood and Anxiety Treatments (CANMAT) Taskforce. World J Biol Psychiatry. 2022 Jul;23(6):424-455. doi: 10.1080/15622975.2021.2013041. Epub 2022 Mar 21. PMID: 35311615.
Über die Autorin:
"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.
Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.
