In den vergangenen Tagen sorgte eine US-amerikanische Veröffentlichung für Aufsehen: Die langfristige Einnahme von Melatonin könne das Risiko für Herzschwäche erhöhen. Die Schlagzeilen klingen alarmierend und sie waren auch prompt hier in den sozialen Medien. Und auch ich wurde von mehreren besorgten Patienten und Lesern angeschrieben, ob sie ihr Melatonin nun besser absetzen sollten. Grund genug, die Daten etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Zunächst einmal handelt es sich nicht um eine Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Journal. Es handelt sich um eine vorläufige Beobachtungsstudie. Also: Es gibt gar keine Veröffentlichung dieser Ergebnisse, sondern nur einen „Abstract“, eine Art wissenschaftliche Zusammenfassung, die auf einer Konferenz vorgestellt wurde.

Die besagte Untersuchung basiert auf der Auswertung elektronischer Gesundheitsdaten von über 130.000 Erwachsenen, die wegen Schlafstörungen behandelt wurden. Demnach hätten Personen, die über mindestens ein Jahr Melatonin eingenommen hatten, in den folgenden fünf Jahren häufiger eine Herzschwäche entwickelt als Nicht-Nutzer (in Zahlen: 4,6 % vs. 2,7 %).

Namhafte Experten, wie z. B. Frau Dr. Doris Loh, die weltbekannte Melatoninforscherin im Team von Professor Dr. Russel Reiter, kritisierten vor allem folgende Punkte:


  1. Unklare Dokumentation: Die Dosierung und die Einnahmedauer von Melatonin wurden nicht einheitlich dokumentiert. Die verwendete Datenbank erstreckt sich über unterschiedliche Länder mit unterschiedlichen Verordnungs- und Zugangsbedingungen für Melatonin (z. B. rezeptpflichtig in UK, rezeptfrei in den USA), was die Interpretation erschwert. Zudem könnte es sein, dass viele Melatonin Nutzer es als rezeptfreies Mittel gar nicht angegeben haben.
  2. Korrelation statt Kausalität: Wer Melatonin nimmt, hat meist schwerere Schlafprobleme und andere Grunderkrankungen, die das erhöhte Risiko für Herzinsuffizienz erklären könnten.
  3. Selektionsverzerrung: Menschen mit bestehenden Erkrankungen suchen häufiger medizinische Hilfe und erscheinen daher überproportional in den Datensätzen.
  4. Nicht peer-reviewed: Die Daten wurden bislang nicht von unabhängigen Forschern geprüft oder bestätigt. Das bedeutet, sie wurde noch nicht durch unabhängige Fachkollegen überprüft, und damit sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren.

Meine Meinung dazu ist klar: Melatonin ist kein gefährlicher Stoff. Es ist ein körpereigenes Hormon, das seit vielen Jahrzehnten erforscht wird und als sehr sicher gilt. Die Studie sollte nicht vorschnell als Beweis für eine schädliche Wirkung verstanden werden, wie es jetzt mehrfach in den Medien und vor allem auf Social Media dargestellt wurde.

Die Studie zeigt – sofern sie nach wissenschaftlichen Kriterien korrekt durchgeführt wurde – lediglich eine statistische Korrelation, aber keinen Beweis für eine ursächliche Wirkung. Die Autoren betonen selbst ausdrücklich, dass keine Kausalität nachgewiesen ist. Melatonin muss daher nicht zwangsläufig die Ursache der beobachteten Effekte sein, wie es in den Medien – vermutlich bewusst falsch – dargestellt wurde.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die klinischen Studien, die es zu Melatonin bereits gibt, auch in Bezug auf die Herzgesundheit. Eine wichtige habe ich unten verlinkt.

Kurz gesagt: Es gibt bislang keinen wissenschaftlich gesicherten Beweis, dass Melatonin Herzschwäche verursacht. Persönlich werde ich weiterhin Melatonin nutzen und auch verordnen.


Quellen:

Domínguez-Rodríguez A, Abreu-González P, Báez-Ferrer N, Reiter RJ, Avanzas P, Hernández-Vaquero D. Melatonin and Cardioprotection in Humans: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. Front Cardiovasc Med. 2021 May 12;8:635083. doi: 10.3389/fcvm.2021.635083. PMID: 34055929; PMCID: PMC8149621.

https://newsroom.heart.org/news/long-term-use-of-melatonin-supplements-to-support-sleep-may-have-negative-health-effects?utm_source=chatgpt.com

https://www.sciencemediacentre.org/expert-reaction-to-conference-abstract-on-association-between-long-term-melatonin-supplementation-and-incidence-of-heart-failure-in-patients-with-insomnia/?utm_source=chatgpt.com

www.melatoninfacts.org


Über die Autorin:


"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.

Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.


Das Bild zeigt ein Porträt der News-Autorin Kyra Kauffmann.