Eine schlimme Behauptung. Klingt als Zitat auch nicht besser: „Es fehlt in Praxen und Kliniken zunehmend das, was sich hinter dem scheinbar altertümlichen Begriff des „Heilens“ verbirgt. (CME 06/2014, S. 16). 

Dahinter steht die Erkenntnis: „Das Fundament des Vertrauens zwischen Arzt und Patient bekommt Risse“. Können Sie und ich nur lächeln. Was heißt hier: „Bekommt Risse“? Ist zerrissen. Weshalb wohl boomt die Naturheilkunde, Heilpraktiker usw? Schon fühlt sich unsere Kassenärtzliche Bundesvereinigung KBV zu einer Imagekampagne genötigt: 

In TV-Spots, in Plakaten und Flyern versichert sie derzeit, dass der Arzt sich in erster Linie nur um seine Patienten kümmert. 

Wirklich? Dass überhaupt so eine Kampagne notwendig wird, beweist eigentlich schon das Gegenteil. Und über die Ursachen der Misere braucht man nicht lange zu spekulieren: Ökonomie steht im Vordergrund.

Es geht ums Geld. Nicht um den Arzt, nicht um den Patienten, nicht um Heilung. Ums Geld. 

Kann man ganz konkret werden: Der Patient hat (gemessen!) knapp 20 Sek. Zeit, um im Sprechzimmer sein Anliegen vorzubringen. Dann wird ihn der Arzt (gemessen!) zum erste Mal unterbrechen, um das Gespräch zeitlich zu optimieren. Anders geht es auch nicht, denn das Wartezimmer ist voll.

Voll? Ja. Sie erleben doch soeben alle die vorwurfsvolle Debatte, Patienten müssten Wochen, ja Monate auf einen Arzttermin warten. Ja... weshalb vorwurfsvoll? Spielt der Arzt im Sprechzimmer Skat? Ist er stundenlang mit Computerspielen beschäftigt? Ist er bloß faul? Glauben Sie doch selbst alle nicht. Der ist simpel und schlicht überlastet.

Resultat, wieder ein Zitat: „Der Arzt wird zum reinen Behandler“. Und Behandeln ist etwas anderes als Heilen. Behandeln bezieht sich auf ein schlecht funktionierendes Organsystem, heilen bezieht sich auf ein leidendes menschliches Wesen. So schreibt der amerikanische Kardiologe Bernard Lown in seinem Buch „Die verlorene Kunst des Heilens“.

Dahinter steht die Wunderdroge Empathie. Also die Fähigkeit des Arztes (und die hat er unzweifelhaft!) sich einzufühlen, mitzufühlen mit dem Patienten. Nur... In 20 Sekunden (siehe oben)? Unmöglich. Viele Patienten  machen ja auch nicht mehr mit. Gerade chronisch kranke oder onkologische Patienten wandern zu alternativen Angeboten ab. Ein Faktum.

Die zwangsläufig fehlende Empathie, das fehlende Mitgefühl wegen ständig nervenzerreißender Überlastung (Ich weiß, wovon ich spreche!) kostet Geld. Konkret: 

„Durch Haftpflichtprämien, Defensivmedizin und Schadensersatzforderungen entstehen in den USA jährlich Kosten von etwa 200 Milliarden Dollar. Damit sind die Folgen eines tendenziell zerrütteten Arzt-patienten-Verhältnisses in den USA genau so teuer wie das gesamte deutsche Gesundheitssystem. Mangel an Empathie erweist sich also auch als ökonomisch relevanter Faktor.“

Bisher war’s nur Feststellung. War es das übliche Gejammere. Gibt’s auch eine Lösung? Gibt’s Vorschläge? Freilich. Die Lösung heißt

Selbstverantwortung

Was glauben Sie, weshalb Ärzte keine Zeit mehr haben? Weil zu viele Patienten kommen. Banal. Und weshalb? Weil die keine Selbstverantwortung mehr übernehmen. Weil die keinerlei Körperbewusstsein haben. Weil die alles an den Arzt abschieben... wollen. Und zunehmend enttäuscht sind, wenn sie merken, dass dieses Abschiebe – Prinzip nicht klappt. Nichts bringt.

Mit Tabletten werden sie abgespeist. Tabletten, die von vorne herein in 50 % gar nicht helfen können (siehe News vom 23.03.2010). Ein geschickter Arzt schlägt zurück. Steckt nicht nur ein, lässt sich in den Medien beleidigen und bringt sich um (Ärzte haben die höchste Selbstmordrate!), sondern schlägt zurück. Wie wohl? Er überträgt dem Patienten Verantwortung. 

Tun ja manche Herzchirurgen bereits. Wenn der Patient nicht 20 Kilo abspeckt, wird er einfach nicht operiert. Wenn meine Patienten nicht zu laufen beginnen, brauchen sie gar nicht mehr wieder zukommen. Wer bei der Kontroll-Blutanalyse nicht deutlich verbesserte Werte hat, will offenbar nicht. Will selbst nichts tun. Keine Verantwortung übernehmen.

Dann greift der Satz Nummer zwei. Satz Nummer eins kennt jeder Deutsche: Wir haben die freie Arztwahl. Etwas Herrliches. Gibt es in anderen Ländern ja nicht. Was die Patienten nicht wissen: Der Arzt hat die freie Patientenwahl. Außer in Notfällen darf er jeden Patienten ablehnen. Wussten Sie das? 

Liebe KBV: Statt auf Plakaten um verlorenes Vertrauen zu buhlen, gehen Sie doch bitte zum Angriff über: Der Patient hat auch Pflichten. Pflichten, sich um sich zu kümmern. Ein völlig neuer Zugang zu diesem Thema. 

PS: Noch ein Tipp, liebe KBV: Der Mensch besinnt sich erfahrungsgemäß auf seine Pflichten dann, wenn es um sein Geld geht. Kleiner Hinweis.