Wir verwenden Cookies, um Ihre Erfahrung zu verbessern. Um die neuen Datenschutzrichtlinien zu erfüllen, müssen wir Sie um Ihre Zustimmung für Cookies fragen. Weitere Informationen
Das Eigenbrauer-Syndrom – Promille & Fettleber ganz ohne Alkohol
Schwindel, Erschöpfung, Darmprobleme, Koordinationsstörungen und oft auch eine Fettleber, ohne dass man einen einzigen Schluck Alkohol konsumiert hat – hinter diesen komplexen Beschwerden kann das „Eigenbrauer-Syndrom“ (englisch: Auto-Brewery Syndrome) stecken. Seit 1952 ist dieses Phänomen in der Literatur beschrieben. Dabei sorgen fermentierende Bakterien im Verdauungstrakt - oder auch in der Blase - für die endogene Alkohol-Produktion – was sogar schon zu erhöhten Promille-Werten im Blut und zu Problemen bei Alkohol-Kontrollen im Straßenverkehr geführt hat.
Das Syndrom wird als „seltene Erkrankung“ eingestuft, obwohl sich fast alle Studienautoren zum Thema einig sind: Es wird häufig nicht erkannt – und die Dunkelziffer betroffener Patienten dürfte um ein Vielfaches höher sein. Neuere Arbeiten unter anderem in „Nature Reviews“ sowie publizierte Case Reports greifen dieses Thema nun erneut auf. Auch eine klinische Studie ist in Vorbereitung.
Zum „Selbst-Brauer“ kann man Studien zufolge werden, wenn sich fermentierende Mikroben wie Hefepilze (z.B. Candida oder Saccharomyces, zu denen übrigens Bierhefe zählt) oder bestimmte Bakterien (z.B. Klebsiellen, Enterokokken) im Darm oder in der Blase breitgemacht haben. Die mikrobiellen Brau-Helfer vergären Kohlenhydrate (Zucker) zu Ethanol. Eine europäische Forschergruppe um den Stoffwechselexperten Abraham Stijn Meijnikman von der Universität Amsterdam (heute an der University of California, San Diego) fand in zwei Studien sogar heraus, dass selbst vermeintlich harmlose Darmbewohner wie Laktobazillen zur Alkoholproduktion beitragen können.
Eine solche Alkohol-Belastung für den Körper kann zu so rätselhaften Symptomen wie Schluckauf oder chronischer Müdigkeit führen; auch die Entwicklung einer „nichtalkoholischen Fettleber“ (NAFLD) ist möglich. Einige Risikofaktoren sind bekannt, die eine solche Störung der Darmflora und die Entstehung der fatalen Eigen-Brauerei begünstigen. Dazu zählen unter anderem ein zu hoher Zucker-und Kohlenhydratverzehr, Leberfunktionsstörungen, Diabetes und Antibiotika. Aber obwohl letztere heute gerne für alle möglichen Störungen verantwortlich gemacht werden, sind sie (wie auch Antimykotika) für gepeinigte menschliche Eigenbrauer für eine Therapie meist unverzichtbar.
Der effektivste und nachhaltigste Therapie-Baustein aber ist, eine eiweißreiche Langzeit-Low Carb-Ernährung, um den mikrobiellen Alkoholproduzenten ihren Brau-Stoff, den Zucker, zu entziehen. Versprochen: Jede von unheimlichen Brauern gekaperte Darmflora wird es Ihnen danken… Und: Je nachdem, welche Mikroben die Promille-Produktion übernommen haben, können Pro-oder Prebiotika gegensteuern. Um um das herauszufinden, bieten sich Stuhltests wie z.B. eine Mikrobiom-Analyse an. Buchtipp zum Weiterlesen: https://www.penguin.de/buecher/ulrich-strunz-77-tipps-fuer-einen-gesunden-darm/taschenbuch/9783453606326
Quellen:
Meijnikman AS, Davids M, Herrema H, Aydin O, Tremaroli V, Rios-Morales M, Levels H, Bruin S, de Brauw M, Verheij J, Kemper M, Holleboom AG, Tushuizen ME, Schwartz TW, Nielsen J, Brandjes D, Dirinck E, Weyler J, Verrijken A, De Block CEM, Vonghia L, Francque S, Beuers U, Gerdes VEA, Bäckhed F, Groen AK, Nieuwdorp M. Microbiome-derived ethanol in nonalcoholic fatty liver disease. Nat Med. 2022 Oct;28(10):2100-2106. doi: 10.1038/s41591-022-02016-6. Epub 2022 Oct 10. PMID: 36216942.
Meijnikman, A.S., Nieuwdorp, M. & Schnabl, B. Endogenous ethanol production in health and disease. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 21, 556–571 (2024). https://doi.org/10.1038/s41575-024-00937-w
Zewude RT, Croitoru K, Das R, Goldman B, Bogoch II. Auto-brewery syndrome in a 50-year-old woman. CMAJ. 2024 Jun 2;196(21):E724-E727. doi: 10.1503/cmaj.231319. Erratum in: CMAJ. 2024 Jul 1;196(24):E831. doi: 10.1503/cmaj.240839. PMID: 38830676; PMCID: PMC11142034.
Cordell B. Auto-Brewery Syndrome: Diagnosis and Treatment of This Little-Known Condition. Am J Nurs. 2025 Aug 1;125(8):30-37. doi: 10.1097/AJN.0000000000000116. Epub 2025 Jul 24. PMID: 40702625.
https://www.medscape.com/viewarticle/auto-brewery-syndrome-explained-new-patient-cohort-2025a100098y?form=fpf
Über die Autorin:
Marion Meiners ist ausgebildete Verlagskauffrau und Journalistin und arbeitete viele Jahre für Zeitschriften als Redakteurin für Gesundheit und Ernährung. Zusammen mit Labor-Professor Hans-Peter Seelig schrieb sie das Buch „Laborwerte klar und verständlich“.
Ihre Begeisterung für Medizinthemen entdeckte sie in frühen Berufsjahren, nachdem ihr eine Verwandte einen Pschyrembel schenkte. Seither heißt ihr digitales „Wohnzimmer“ PubMed und die Faszination für die Ursachen-Fahndung bei Krankheiten sowie die Effekte von Ernährung und Lebensstil auf die Gesundheit hält an.
Das sagt sie über ihre Tätigkeit:
„Alles hängt mit allem zusammen im Körper. Das ist leider in unserer „Schubladen“-Medizin noch nicht so ganz angekommen. Ein Nährstoffmangel kann etwa ebenso fatale Auswirkung auf alle Organsysteme haben wie z.B. ein kranker Zahn. Umgekehrt kann schon eine veränderte Zusammenstellung der Makro-oder Mikronährstoffe in der Ernährung gigantische therapeutische Effekte entfalten. Welche, und wie gut belegt diese sind – darüber möchte ich informieren.“
